Im 8. Türchen habe ich einen Mistelzweig für euch aufgehängt.  Ob ihr jemanden nach altem Brauch darunter küssen möchtet oder ihr euch einfach nur über dieses seltsame Gebilde freut, bleibt euch überlassen. Fest steht, dass die Mistel etwas ganz besonderes ist.

Ihr alter keltischer Name bedeutet so viel, wie die, die alles heilt. Zu zutrauen wäre es diesem Halbschmarotzer, der in größeren Mengen Bäume sehr stark beanspruchen kann. Wächst sie doch als kugelförmiger Strauch, der sich weder um die für unsere hiesigen Pflanzen normale Wachstumsrhythmen kümmert noch irgendwie etwas mit der Schwerkraft zu tun hat. Im März und April entwickeln sich an den Gabeln der Zweige unscheinbare, gelblichgrüne Blüten, die erst 21 Monate später zur Wintersonnenwende ausreifen. Die ersten Blüten erscheinen erst nach ungefähr 7 Jahren. Die Pollenübertragung erfolgt  durch blütenbesuchende, nektaraufnehmende Insekten. Förderlich ist hier die feinstachelige Struktur der Pollen, sodass sie gut im Haarkleid der Insekten hängen bleiben. Die spätere Frucht bildet eine kugelige weiße Beere mit klebrig- schleimigem Fleisch.

Auch ihre Vermehrung fällt aus dem Rahmen: Misteldrosseln, naschen ihre Lieblingsfrüchte und scheiden die unverdaubaren Samen wieder aus. Einige bleiben dann auf den Bäumen kleben. Im März wächst aus dem Samen ein dickliches Füßchen, das sich gleich zum Ast hin krümmt. Sobald sein Ende die Rinde berührt, bildet es eine Haftscheibe aus, aus der der erste Senker in die Rinde dringt. Bekannt sind drei Unterarten von Misteln: die auf Laubbäumen wachsen,  auf Kiefern und Fichten oder auf Tannen.

Die älteste Charakterisierung der Mistel stammt aus einem römischen Heldenepos ca. 50 v.u.Z..In der keltischen und germanischen Mythologie spielte die Mistel eine Rolle als dämonenabwehrende Pflanze. und bei den Kelten war sie das Allheilmittel. Sie galt den Druiden als heilig, genau wie der Baum, auf dem sie wuchs. Man sah in ihr ein Zeichen der Götter, die den Menschen so mitteilten, dass sie selbst im Baum anwesend seien. Deshalb wurden Misteln auch nur während Gottesdiensten geschnitten. Dabei sollte es eine goldene Sichel ( die Form der Sichel symbolisiert den Mond, das Gold die Sonne – so vergewisserte man sich des kosmischen Beistandes) sein und die Mistel durfte nicht zur Erde fallen, sondern wurde in einem weißen Tuch aufgefangen.

Eine Pflanze, die auf Bäumen wächst und nicht auf die Erde fallen kann, verwendeten Kelten und Germanen gegen die Fallsucht und andere böse Geister. Viele Heilkundige verwendeten die Mistel als Heilmittel für die verschiedensten Leiden. Der Anthroposoph Rudolf Steiner beschrieb die Mistel als erster als mögliches Mittel bei Krebsbehandlungen.

Unabhängig von heilkundlichen Dingen, wird die Mistel traditionell für die unterschiedlichsten Dinge eingesetzt. Im Winter, so dachte man früher, seien besonders viele Dämonen und Geister unterwegs. Um sich gegen sie zu schützen, räucherte man oder das Haus wurde mit Mistel, Efeu und Ilex geschmückt. Der Brauch ist zwar noch vorhanden, aber der Hintergrund meist unbekannt.

Man glaubte, dass Misteln wie Hufeisen, vierblättriger Klee, Glück bringen. Allerdings nur die, die man als Geschenk erhält; nicht die selbstgekaufte.Im Volksglauben wurde sie von jeher als Zauberpflanze betrachtet. Eine Mistelbeere in Silber gefasst, machte gegen jede Verhexung immun. Mistelamulette trägt man in ländlichen Gegenden bis heute gegen Berufung und bösen Blick.

Misteln im Schlafzimmer bringen schöne Träume und enthüllen im Traum das Geheimnis der Unsterblichkeit. In der Heiligen Nacht band man Misteln in die Obstbäume, um sie vor Hagel und Schädlingen zu bewahren. Und fand ein Mädchen eine Mistel auf einem Apfelbaum, so stand eine baldige Hochzeit ins Haus.

In England ist es heute noch Brauch, Mistelzweige aufzuhängen und sich darunter Glück zu wünschen. Wird ein Mädchen von einem Mann darunter überrascht, ist er frei von allen Konventionen wie die Mistel und darf  das Mädchen küssen.